Nach gut zweieinhalb Wochen
Großstadt, Küste und Meer zog es mich schließlich ins Landesinnere. Mit dem
Greyhound Bus fuhr ich in knapp 12 Stunden über Phoenix nach Flagstaff,
Arizona und sah beeindruckt zu, wie sich die Landschaft stetig veränderte: Von Palmen über zerklüftete Felsen über Sanddünen bis hin zu weiten, ausgetrockneten Feldern mit wenig Vegetation. In Flagstaff wollte ich erst einmal ein wenig zur Ruhe kommen, die ersten
Eindrücke verarbeiten und die Natur
genießen. Denn Flagstaff ist nicht nur eine kleine Stadt, die ein wenig Wild
West Charme verbreitet, sondern vor allem auch ein zentraler Punkt für Ausflüge
in den Grand Canyon und weitere sehenswerte Nationalparks in der Umgebung.
Bevor ich mich jedoch dem
„Studium der Schönheiten der Natur“ ;) widmen konnte, galt es noch eine Mission
zu erfüllen: Kieferorthopäden finden und Retainer reparieren lassen. Ersteres
war einfach. Es stellte sich allerdings heraus, dass der Orthopäde montags
nicht im Hause ist und ich daher noch einen Tag länger warten musste. Hmpf!
Aber egal, ein paar Kaugummis hatte ich noch.
Am nächsten Morgen war es dann
endlich soweit. Die Praxis erweckte sofort einen wohlhabenden und hochtechnologisierten
Eindruck: Überall hingen Flachbildschirme, im Wartezimmer gab es eine
Playstation und im Empfangsbereich lag ein Buch, in dem sich die beiden
behandelnden Kieferorthopäden bildreich vorstellten. Im Behandlungszimmer
reihten sich dann vier Zahnarztstühle aneinander und weitere
Flachbildfernseher, die den Film Shrek zeigten.
Ich war noch nicht fertig mit
Staunen, da war ich auch schon an der Reihe. Der Orthopäde stellte fest, dass
sich der Retainer an insgesamt vier von fünf Zähnen gelöst hatte und es sich
nicht lohnen würde, ihn wieder anzukleben. Stattdessen empfahl er mir, den
Draht und die Klebereste zu entfernen und einen sogenannten Clear Retainer anzufertigen.
Das ist eine Art durchsichtige Beißschiene, die man mindestens nachts tragen
muss, damit sich die Zähne nicht verschieben. Dann sagte er, dass er für diese
Behandlung normalerweise 300 USD berechnet. Mir wollten schon meine ungläubigen
Äuglein aus dem Kopf kullern, da meinte er, dass er versteht, dass dies ja eine
besondere und blöde Situation für mich ist, und dass er den Preis daher um die
Hällte reduzieren würde. Das war zwar immer noch ein ziemlicher Batzen Geld,
aber immerhin. Also gesagt, getan. Und weil hier alles ein bisschen
extravaganter zu sein schien, durfte ich mir für die Masse, mit der der Abdruck
der Zähne gemacht wird, sogar eine Geschmacksrichtung aussuchen (die Auswahl
umfasste eine DIN A4 Seite). Alles in allem war es eine recht geschmeidige
Lösung und ich bin mit dem Ergebnis zufrieden. An dem Tag war ich aber auch einfach
nur froh, endlich das lose Ende nicht mehr im Mund zu haben.
Flagstaff selbst war sehr
überschaubar, was ich nach den Großstädten aber als durchaus angenehm empfand.
Das historische Zentrum hat man in ungefähr einer Stunde erkundet, touristische
Sehenswürdigkeiten gibt es kaum. Als ich zum Sonntagabend um 21:30 Uhr auf der
Suche nach einem Lokal war, um noch etwas zu Abend zu essen, wurde ich
enttäuscht. Alles hatte bereits geschlossen. Auch das Klima war eine kleine
Umstellung: Verwöhnt von der kalifornischen Sonne, überraschten mich der raue
Wind und die kühlen Nächte zunächst. Dabei ist es kein Wunder: Flagstaff liegt
auf über 2100 m Höhe und ist eine der höchsten Städte der Vereinigten Staaten. Am
Ende gefiel es mir aber so gut, dass ich statt der ursprünglich geplanten vier
Tage fast eineinhalb Wochen in Flagstaff verbrachte.
Flagstaff |
Wie sich schnell herausstellte, war
es ziemlich schwierig (und wenn, dann extrem kostspielig) ohne Auto Ausflüge in
die Umgebung zu unternehmen. Um den Grand Canyon zu sehen, schloss ich mich daher
einer geführten Tour des Hostels an. Diese führte uns durch das Painted Desert
zum Desert View Watchtower im südlichen Bereich, von wo aus man den ersten
atemberaubenden Blick über den Grand Canyon hat, der einfach durch seine
massive Erscheinung beeindruckt. Man kann nur ca. 10 % des Canyons mit einem
Mal überblicken und allein dies ist schon spektakulär. Die extreme Größe dieses
Naturwunders kann man sich in seiner Gesamtheit kaum vorstellen.
99 % der Besucher des Canyons
bleiben oberhalb des Canyons und bestaunen die Weite. Nur wenige laufen auf einem
der zahlreichen Wanderwege auch ein paar Meter in den Canyon hinein. Wir gingen
immerhin ein paar Meilen den Kaibab Trail hinab zum sogenannten Ooh Aah Point
und genossen die Aussicht. Viel Zeit blieb uns allerdings nicht, denn für den
Weg, den man in 20 Minuten hinab geht, benötigt man ca. 60 Minuten wieder
hinauf. Zum Abschluss des Tages legten wir noch den Trail of Time Rim Walk
zurück und bestaunten schließlich das Farbenspiel der untergehenden Sonne.
Bevor ich diese Reise antrat, war
meine größte Angst, sie allein zu unternehmen. Ich war unerfahren darin auf
diese Weise zu reisen, ich war noch nie in diesem Land und ich bin fremden
Menschen oder größeren Menschenmengen gegenüber, sagen wir, eher verschlossen.
Und nun war ich darauf angewiesen jederzeit über meinen Schatten springen zu
müssen, offen auf andere zuzugehen, das Gespräch zu suchen oder mich auf eines
einzulassen – und dann auch noch auf Englisch. Aber wie so oft, sollte auch
diese Angst völlig unbegründet bleiben. Hat man die Hürde einmal genommen, was
letztlich gar nicht so schwer ist, dann bleibt man auch nicht lange allein.
Ständig und überall kommt man mit Leuten ins Gespräch, sei es in der Bahn, beim
Einkaufen oder natürlich vor allem im Hostel. Man unterhält sich mit
Zimmergenossen, im Gemeinschaftsraum oder beim Frühstück. Die Gespräche sind
oftmals mehr oder weniger dieselben: Wie heißt du, woher kommst du, wo bist du
schon gewesen, was machst du heute etc.? Aber sie helfen einem auch schnell
herauszufinden, wer einem sympathisch ist und wer nicht. Und dann tut man sich
mit anderen zusammen, weil man eventuell dieselben Pläne hat oder weil man dann
einfach welche zusammen schmiedet.
So traf ich z. B. beim Frühstück
im Hostel auf Andreas. Wir unterhielten uns über unsere Pläne und entschlossen
uns schließlich spontan gemeinsam ein Auto zu mieten und nach Sedona zu fahren.
Dort parkte wir im Red Rock National Park und bahnten uns von da aus unseren
Weg zum Cathedral Rock, den wir erklimmen wollten. Der Wanderweg führte uns
über staubige Wege mitten durch die Prärie und endete nach einer gefühlten
Ewigkeit irgendwo auf halbem Wege den Berg hinauf. Ab da war klettern angesagt.
Leider war es an diesem Tag
unheimlich heiß und die Sonne brannte unentwegt vom Himmel herab –
Schattenplätze waren Mangelware. Schon nach ein paar Metern Kletterei merkte
ich, dass mir schwindelig wurde. Vor meinen Augen bildeten sich schwarze
Punkte. Ich setzte mich, atmete tief durch und haderte mit mir, ob ich weiter
gehen sollte oder nicht. Du musst es wenigstens versuchen, dachte ich mir, und
kletterte weitere zwei Meter hinauf. Da begann ich aber schon wieder zu zittern
und wusste, dass es vorbei war. Es nützte ja nichts und wir mussten schließlich
auch noch den ganzen Weg wieder zurück zum Auto gehen. Also suchte ich mir
einen schattigen Platz, machte Rast und wartete auf Andreas, der bis nach oben
kletterte. Die Aussicht war auch hier wunderschön.
Um zum Parkplatz zurück zu
kommen, mussten wir barfuß den Oak Creek River durchqueren. Dieser war milder
als wir erwartet hatten und so gönnten wir uns an einer ruhigen Stelle
kurzerhand ein kleines Bad. Das tat gut! Erfrischt setzen wir unseren Weg fort
und schafften es letztlich pünktlich zum Sonnenuntergang wieder zum Auto.
Zurück im Hostel fiel ich dann sofort erschöpft ins Bett und schlief wie ein
Stein.
Cathedral Rock |
Kletterei |
Erfrischung |
Andreas und ich |
Cathedral Rock im Abendlicht |
Ich kam außerdem mit meiner
Zimmergenossin Amanda ins Gespräch und erzählte ihr, dass ich unbedingt das
Monument Valley und den Antelope Canyon sehen wolle, ohne Auto aber nicht
wüsste, wie ich diese erreichen könne. Wie es der Zufall so wollte, hatte
Amanda auch Interesse daran diese Dinge zu sehen und noch dazu ein Auto, ein
Zelt und keine Pläne für das kommende Wochenende. Also lieh ich mir im
Outdoorladen um die Ecke für günstiges Geld Schlafsack und Isomatte und schon
konnte es losgehen.
Auf dem Weg zum Monument Valley
machten wir einen kurzen Zwischenstopp bei Sonic, um uns etwas zu essen zu
bestellen. Das ist deshalb erwähnenswert, weil es einfach unfassbar ist, dass
diese Dinge wirklich existieren, denn bestellen geht bei Sonic so: Man fährt
mit dem Auto ähnlich wie bei einer Tankstelle an eine Station mit einer Tafel
mit dem Menü und einer Gegensprechanlage. Dann gibt man seine Bestellung auf,
ohne dass man das Auto verlassen muss. Erst einmal nicht so ungewöhnlich. Zwei
Minuten später kommt jedoch eine Kellnerin auf Rollschuhen (!) mit dem Essen
zum Auto gefahren, übergibt dieses, kassiert und fährt wieder nach drinnen zur
nächsten Bestellung. Unglaublich!
Einmal im Monument Valley
angekommen, fühlt man sich direkt in eine andere Zeit versetzt und es wird
einem erst beim Anblick der berühmten „Mittens“ bewusst, wie sehr man dieses
Bild automatisch mit dem Wilden Westen assoziiert. Es ist aber auch ein toller
Anblick. Wirklich viel unternehmen kann man hier allerdings nicht. Es gibt
genau zwei Dinge: 1. Den Wildcat Trail wandern und 2. Den 17-Mile-Drive fahren.
Beides haben wir getan, wobei besonders der 17-Mile-Drive für viel Spaß sorgte,
weil dieser über eine unwegsame und unbefestigte Straße führte. Möchte man sein
Auto diesen Strapazen nicht aussetzen, kann man natürlich auch eine Tour für 85
USD mieten und man hat fast das Gefühl, die Straße sei absichtlich zu diesem
Zweck in einem schlechten Zustand gehalten worden.
Ein kleiner Abstecher führte uns
außerdem ins angrenzende Utah zum Mexican Hat, einer Felsformation, die einem
Sombrero tragenden Mann ähnelt.
"Mittens" |
Mexican Hat |
Ausblick vom Campingplatz |
Am zweiten Tag ging es dann früh
raus und zum Lower Antelope Canyon. Wir waren ja einmal in der Umgebung, denn
der Canyon ist vom Monument Valley „nur“ ca. zwei Stunden Autofahrt entfernt.
Wer eine Zeit lang in den USA verbringt, der weiß, dass das in der Tat eine
vergleichsweise kurze Entfernung ist. Der Canyon ist allerdings nicht frei
begehbar, sondern kann nur mit einer geführten Gruppe betreten werden. Dies tut
der Schönheit dieses einzigartigen Ortes aber keinen Abbruch. Jede Kurve, um
die man geht, hält einen neuen faszinierenden Blick bereit. Die Farben der
Felswände wirken auch in der Realität unnatürlich und künstlich.
Als krönenden Abschluss meines
Aufenthalts in Flagstaff, erfüllte ich mir einen weiteren lang gehegten Traum:
Ein 45minütiger Helikopterflug über den Grand Canyon. Mit dem Arizona Shuttle
fuhr ich zum Flughafen, wo mir die nette Dame an der Rezeption beim Gewichtscheck
erklärte, dass ich 10 Pfund weniger wiegen würde als ich bei meiner Reservierung angegeben hatte. Die
Zeit bis zum Start des Fluges verbrachte ich daher mit Grübeln über mein mysteriöses
Abnehmen trotz (oder wegen?) des übermäßigen Konsums von Fast Food und Softdrinks.
Im Helikopter selbst fanden neben
dem Piloten sieben weitere Personen Platz: Drei vorn und vier hinten. Die
Verteilung erfolgte nach Körpergewicht und ich fand mich plötzlich in der
glücklichen Position als Copilot wieder. So hatte ich nicht nur
uneingeschränkten Ausblick auf die Instrumente, sondern auch den frontalen
Blick durch die fast vollständig verglaste Frontscheibe. Dass ein Flug in einem
Helikopter aber etwas anderes ist als in einem Flugzeug, wurde nach dem Start
recht schnell klar. Windböen machen sich ziemlich unmittelbar bemerkbar, der
Helikopter gleicht nahezu permanent Luftströmungen aus. Obwohl ich
normalerweise weder mit Fliegen noch mit Höhe an sich Probleme habe, merkte ich
bald, dass sich ein Gefühl des Unwohlseins in mir breit machte und ich war
froh, nach dem Flug wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. So konnte ich
den atemberaubenden Ausblick leider nicht in vollen Zügen genießen.
Nichtsdestotrotz bin ich sehr glücklich, den Flug gemacht zu haben. Aber ich
weiß nun auch, ich würde es nicht wieder tun ;)
Bereit? |
Los geht's! |
wieder am Boden |
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen