Dienstag, 6. Mai 2014

Flagstaff

Nach gut zweieinhalb Wochen Großstadt, Küste und Meer zog es mich schließlich ins Landesinnere. Mit dem Greyhound Bus fuhr ich in knapp 12 Stunden über Phoenix nach Flagstaff, Arizona und sah beeindruckt zu, wie sich die Landschaft stetig veränderte: Von Palmen über zerklüftete Felsen über Sanddünen bis hin zu weiten, ausgetrockneten Feldern mit wenig Vegetation. In Flagstaff wollte ich erst einmal ein wenig zur Ruhe kommen, die ersten Eindrücke verarbeiten  und die Natur genießen. Denn Flagstaff ist nicht nur eine kleine Stadt, die ein wenig Wild West Charme verbreitet, sondern vor allem auch ein zentraler Punkt für Ausflüge in den Grand Canyon und weitere sehenswerte Nationalparks in der Umgebung.

Bevor ich mich jedoch dem „Studium der Schönheiten der Natur“ ;) widmen konnte, galt es noch eine Mission zu erfüllen: Kieferorthopäden finden und Retainer reparieren lassen. Ersteres war einfach. Es stellte sich allerdings heraus, dass der Orthopäde montags nicht im Hause ist und ich daher noch einen Tag länger warten musste. Hmpf! Aber egal, ein paar Kaugummis hatte ich noch.

Am nächsten Morgen war es dann endlich soweit. Die Praxis erweckte sofort einen wohlhabenden und hochtechnologisierten Eindruck: Überall hingen Flachbildschirme, im Wartezimmer gab es eine Playstation und im Empfangsbereich lag ein Buch, in dem sich die beiden behandelnden Kieferorthopäden bildreich vorstellten. Im Behandlungszimmer reihten sich dann vier Zahnarztstühle aneinander und weitere Flachbildfernseher, die den Film Shrek zeigten.

Ich war noch nicht fertig mit Staunen, da war ich auch schon an der Reihe. Der Orthopäde stellte fest, dass sich der Retainer an insgesamt vier von fünf Zähnen gelöst hatte und es sich nicht lohnen würde, ihn wieder anzukleben. Stattdessen empfahl er mir, den Draht und die Klebereste zu entfernen und einen sogenannten Clear Retainer anzufertigen. Das ist eine Art durchsichtige Beißschiene, die man mindestens nachts tragen muss, damit sich die Zähne nicht verschieben. Dann sagte er, dass er für diese Behandlung normalerweise 300 USD berechnet. Mir wollten schon meine ungläubigen Äuglein aus dem Kopf kullern, da meinte er, dass er versteht, dass dies ja eine besondere und blöde Situation für mich ist, und dass er den Preis daher um die Hällte reduzieren würde. Das war zwar immer noch ein ziemlicher Batzen Geld, aber immerhin. Also gesagt, getan. Und weil hier alles ein bisschen extravaganter zu sein schien, durfte ich mir für die Masse, mit der der Abdruck der Zähne gemacht wird, sogar eine Geschmacksrichtung aussuchen (die Auswahl umfasste eine DIN A4 Seite). Alles in allem war es eine recht geschmeidige Lösung und ich bin mit dem Ergebnis zufrieden. An dem Tag war ich aber auch einfach nur froh, endlich das lose Ende nicht mehr im Mund zu haben.

Flagstaff selbst war sehr überschaubar, was ich nach den Großstädten aber als durchaus angenehm empfand. Das historische Zentrum hat man in ungefähr einer Stunde erkundet, touristische Sehenswürdigkeiten gibt es kaum. Als ich zum Sonntagabend um 21:30 Uhr auf der Suche nach einem Lokal war, um noch etwas zu Abend zu essen, wurde ich enttäuscht. Alles hatte bereits geschlossen. Auch das Klima war eine kleine Umstellung: Verwöhnt von der kalifornischen Sonne, überraschten mich der raue Wind und die kühlen Nächte zunächst. Dabei ist es kein Wunder: Flagstaff liegt auf über 2100 m Höhe und ist eine der höchsten Städte der Vereinigten Staaten. Am Ende gefiel es mir aber so gut, dass ich statt der ursprünglich geplanten vier Tage fast eineinhalb Wochen in Flagstaff verbrachte.

Flagstaff

Wie sich schnell herausstellte, war es ziemlich schwierig (und wenn, dann extrem kostspielig) ohne Auto Ausflüge in die Umgebung zu unternehmen. Um den Grand Canyon zu sehen, schloss ich mich daher einer geführten Tour des Hostels an. Diese führte uns durch das Painted Desert zum Desert View Watchtower im südlichen Bereich, von wo aus man den ersten atemberaubenden Blick über den Grand Canyon hat, der einfach durch seine massive Erscheinung beeindruckt. Man kann nur ca. 10 % des Canyons mit einem Mal überblicken und allein dies ist schon spektakulär. Die extreme Größe dieses Naturwunders kann man sich in seiner Gesamtheit kaum vorstellen.

99 % der Besucher des Canyons bleiben oberhalb des Canyons und bestaunen die Weite. Nur wenige laufen auf einem der zahlreichen Wanderwege auch ein paar Meter in den Canyon hinein. Wir gingen immerhin ein paar Meilen den Kaibab Trail hinab zum sogenannten Ooh Aah Point und genossen die Aussicht. Viel Zeit blieb uns allerdings nicht, denn für den Weg, den man in 20 Minuten hinab geht, benötigt man ca. 60 Minuten wieder hinauf. Zum Abschluss des Tages legten wir noch den Trail of Time Rim Walk zurück und bestaunten schließlich das Farbenspiel der untergehenden Sonne.






Bevor ich diese Reise antrat, war meine größte Angst, sie allein zu unternehmen. Ich war unerfahren darin auf diese Weise zu reisen, ich war noch nie in diesem Land und ich bin fremden Menschen oder größeren Menschenmengen gegenüber, sagen wir, eher verschlossen. Und nun war ich darauf angewiesen jederzeit über meinen Schatten springen zu müssen, offen auf andere zuzugehen, das Gespräch zu suchen oder mich auf eines einzulassen – und dann auch noch auf Englisch. Aber wie so oft, sollte auch diese Angst völlig unbegründet bleiben. Hat man die Hürde einmal genommen, was letztlich gar nicht so schwer ist, dann bleibt man auch nicht lange allein. Ständig und überall kommt man mit Leuten ins Gespräch, sei es in der Bahn, beim Einkaufen oder natürlich vor allem im Hostel. Man unterhält sich mit Zimmergenossen, im Gemeinschaftsraum oder beim Frühstück. Die Gespräche sind oftmals mehr oder weniger dieselben: Wie heißt du, woher kommst du, wo bist du schon gewesen, was machst du heute etc.? Aber sie helfen einem auch schnell herauszufinden, wer einem sympathisch ist und wer nicht. Und dann tut man sich mit anderen zusammen, weil man eventuell dieselben Pläne hat oder weil man dann einfach welche zusammen schmiedet.

So traf ich z. B. beim Frühstück im Hostel auf Andreas. Wir unterhielten uns über unsere Pläne und entschlossen uns schließlich spontan gemeinsam ein Auto zu mieten und nach Sedona zu fahren. Dort parkte wir im Red Rock National Park und bahnten uns von da aus unseren Weg zum Cathedral Rock, den wir erklimmen wollten. Der Wanderweg führte uns über staubige Wege mitten durch die Prärie und endete nach einer gefühlten Ewigkeit irgendwo auf halbem Wege den Berg hinauf. Ab da war klettern angesagt.

Leider war es an diesem Tag unheimlich heiß und die Sonne brannte unentwegt vom Himmel herab – Schattenplätze waren Mangelware. Schon nach ein paar Metern Kletterei merkte ich, dass mir schwindelig wurde. Vor meinen Augen bildeten sich schwarze Punkte. Ich setzte mich, atmete tief durch und haderte mit mir, ob ich weiter gehen sollte oder nicht. Du musst es wenigstens versuchen, dachte ich mir, und kletterte weitere zwei Meter hinauf. Da begann ich aber schon wieder zu zittern und wusste, dass es vorbei war. Es nützte ja nichts und wir mussten schließlich auch noch den ganzen Weg wieder zurück zum Auto gehen. Also suchte ich mir einen schattigen Platz, machte Rast und wartete auf Andreas, der bis nach oben kletterte. Die Aussicht war auch hier wunderschön.

Um zum Parkplatz zurück zu kommen, mussten wir barfuß den Oak Creek River durchqueren. Dieser war milder als wir erwartet hatten und so gönnten wir uns an einer ruhigen Stelle kurzerhand ein kleines Bad. Das tat gut! Erfrischt setzen wir unseren Weg fort und schafften es letztlich pünktlich zum Sonnenuntergang wieder zum Auto. Zurück im Hostel fiel ich dann sofort erschöpft ins Bett und schlief wie ein Stein.
   
Cathedral Rock

Kletterei

Erfrischung

Andreas und ich

Cathedral Rock im Abendlicht

Ich kam außerdem mit meiner Zimmergenossin Amanda ins Gespräch und erzählte ihr, dass ich unbedingt das Monument Valley und den Antelope Canyon sehen wolle, ohne Auto aber nicht wüsste, wie ich diese erreichen könne. Wie es der Zufall so wollte, hatte Amanda auch Interesse daran diese Dinge zu sehen und noch dazu ein Auto, ein Zelt und keine Pläne für das kommende Wochenende. Also lieh ich mir im Outdoorladen um die Ecke für günstiges Geld Schlafsack und Isomatte und schon konnte es losgehen.

Auf dem Weg zum Monument Valley machten wir einen kurzen Zwischenstopp bei Sonic, um uns etwas zu essen zu bestellen. Das ist deshalb erwähnenswert, weil es einfach unfassbar ist, dass diese Dinge wirklich existieren, denn bestellen geht bei Sonic so: Man fährt mit dem Auto ähnlich wie bei einer Tankstelle an eine Station mit einer Tafel mit dem Menü und einer Gegensprechanlage. Dann gibt man seine Bestellung auf, ohne dass man das Auto verlassen muss. Erst einmal nicht so ungewöhnlich. Zwei Minuten später kommt jedoch eine Kellnerin auf Rollschuhen (!) mit dem Essen zum Auto gefahren, übergibt dieses, kassiert und fährt wieder nach drinnen zur nächsten Bestellung. Unglaublich!

Einmal im Monument Valley angekommen, fühlt man sich direkt in eine andere Zeit versetzt und es wird einem erst beim Anblick der berühmten „Mittens“ bewusst, wie sehr man dieses Bild automatisch mit dem Wilden Westen assoziiert. Es ist aber auch ein toller Anblick. Wirklich viel unternehmen kann man hier allerdings nicht. Es gibt genau zwei Dinge: 1. Den Wildcat Trail wandern und 2. Den 17-Mile-Drive fahren. Beides haben wir getan, wobei besonders der 17-Mile-Drive für viel Spaß sorgte, weil dieser über eine unwegsame und unbefestigte Straße führte. Möchte man sein Auto diesen Strapazen nicht aussetzen, kann man natürlich auch eine Tour für 85 USD mieten und man hat fast das Gefühl, die Straße sei absichtlich zu diesem Zweck in einem schlechten Zustand gehalten worden.

Ein kleiner Abstecher führte uns außerdem ins angrenzende Utah zum Mexican Hat, einer Felsformation, die einem Sombrero tragenden Mann ähnelt.

"Mittens"




Mexican Hat

Ausblick vom Campingplatz


Am zweiten Tag ging es dann früh raus und zum Lower Antelope Canyon. Wir waren ja einmal in der Umgebung, denn der Canyon ist vom Monument Valley „nur“ ca. zwei Stunden Autofahrt entfernt. Wer eine Zeit lang in den USA verbringt, der weiß, dass das in der Tat eine vergleichsweise kurze Entfernung ist. Der Canyon ist allerdings nicht frei begehbar, sondern kann nur mit einer geführten Gruppe betreten werden. Dies tut der Schönheit dieses einzigartigen Ortes aber keinen Abbruch. Jede Kurve, um die man geht, hält einen neuen faszinierenden Blick bereit. Die Farben der Felswände wirken auch in der Realität unnatürlich und künstlich.





Als krönenden Abschluss meines Aufenthalts in Flagstaff, erfüllte ich mir einen weiteren lang gehegten Traum: Ein 45minütiger Helikopterflug über den Grand Canyon. Mit dem Arizona Shuttle fuhr ich zum Flughafen, wo mir die nette Dame an der Rezeption beim Gewichtscheck erklärte, dass ich 10 Pfund weniger wiegen würde als  ich bei meiner Reservierung angegeben hatte. Die Zeit bis zum Start des Fluges verbrachte ich daher mit Grübeln über mein mysteriöses Abnehmen trotz (oder wegen?) des übermäßigen Konsums von Fast Food und Softdrinks.

Im Helikopter selbst fanden neben dem Piloten sieben weitere Personen Platz: Drei vorn und vier hinten. Die Verteilung erfolgte nach Körpergewicht und ich fand mich plötzlich in der glücklichen Position als Copilot wieder. So hatte ich nicht nur uneingeschränkten Ausblick auf die Instrumente, sondern auch den frontalen Blick durch die fast vollständig verglaste Frontscheibe. Dass ein Flug in einem Helikopter aber etwas anderes ist als in einem Flugzeug, wurde nach dem Start recht schnell klar. Windböen machen sich ziemlich unmittelbar bemerkbar, der Helikopter gleicht nahezu permanent Luftströmungen aus. Obwohl ich normalerweise weder mit Fliegen noch mit Höhe an sich Probleme habe, merkte ich bald, dass sich ein Gefühl des Unwohlseins in mir breit machte und ich war froh, nach dem Flug wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. So konnte ich den atemberaubenden Ausblick leider nicht in vollen Zügen genießen. Nichtsdestotrotz bin ich sehr glücklich, den Flug gemacht zu haben. Aber ich weiß nun auch, ich würde es nicht wieder tun ;)

Bereit?

Los geht's!



wieder am Boden


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